Die Schweiz als Waffenlager des italienischen Terrors – Ein Interview von Radio SRF
Im gestrigen “Echo der Zeit” auf Radio SRF führte Journalist Iwan Santoro ein aufschlussreiches Gespräch mit dem Historiker Raphael Rues über die Rolle der Schweiz während der italienischen Terrorwelle der 1970er Jahre. Die neuen Recherchen, die Rues präsentierte, werfen eine besondere Licht auf die Verflechtungen zwischen Schweizer Territorium und italienischen Terrororganisationen.
Echo der Zeit – Sendung 19.10.2025
SRF Radio Interview von Iwan Santoro mit Raphael Rues
“Die Schweiz wurde in dieser Zeit regelrecht zu einem Selbstbedienungsladen für Terroristen”, erklärte Rues im Interview. Besonders brisant: Zwischen 1971 und 1976 wurden in der Schweiz mindestens hundertvierzig Einbrüche in Militärdepots verübt, bei denen Hunderte von Handgranaten, Minen, Munition und andere Waffen gestohlen wurden. Diese Waffen tauchten später bei Anschlägen der Roten Brigaden und anderer Terrorgruppen in Italien – aber auch in Deutschland – wieder auf.
Ein besonders gravierender Fall ereignete sich am 15. November 1972 in Ponte Brolla bei Locarno im Kanton Tessin. Dort wurden 135 Handgranaten vom Typ HG 43 aus einem Militärdepot gestohlen. “Diese Granaten fanden wir später an verschiedenen Tatorten wieder”, so Rues. “In der berüchtigten Via Gradoli in Rom, wo die Roten Brigaden während der Entführung Aldo Moros einen Unterschlupf hatten, aber auch bei anderen Anschlägen.”
Trekking Schmugglerpfad (Deutsch)
Das “Trekking Schmugglerpfad”, das von Insubrica Historica präsentiert wird, entspringt dem Wunsch, interessierten Teilnehmer die Möglichkeit zu geben, einen wichtigen historischen Moment wiederzuerleben, der noch gar nicht so lange zurückliegt. Es ist ein Weg, der zum Nachdenken anregt und zeigt, wie die Kriegssituation des Zweiten Weltkriegs die Region Locarno weitgehend berührte. Die Idee für diese Wanderung entstand während der Ausstellung “Gente di Contrabbando”, die 2021-2022 in Zusammenarbeit mit dem Elisarion-Zentrum in der Villa San Quirico in Minusio organisiert wurde.
Die Recherchen zeigen, dass militante Gruppen wie “Potere Operaio” bereits ab 1971 systematisch eine logistische Struktur in der Schweiz aufbauten. Diese diente nicht nur als Rückzugsraum für gesuchte Terroristen, sondern auch als Drehscheibe für Waffenlieferungen. Zentrale Figuren waren auch mehrere Tessiner.
Besonders der Tessin spielte eine wichtige Rolle. “Die geografische Nähe zu Norditalien und die relativ durchlässige Grenze machten den Kanton zu einem idealen Operationsgebiet”, erläuterte Rues. In Locarno und Umgebung etablierte sich ein Netzwerk, das Waffen schmuggelte, gefälschte Dokumente herstellte und Unterschlüpfe für flüchtige Terroristen bereitstellte.
Die Schweizer Behörden waren über diese Aktivitäten teilweise informiert, griffen aber oft zu spät ein. “Es gab eine gewisse Naivität gegenüber dem Ausmass der terroristischen Bedrohung”, meinte Rues. Erst nachdem Schweizer Waffen bei schweren Anschlägen in Italien aufgetaucht waren, verstärkte man die Sicherheitsmassnahmen.
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Das Interview verdeutlicht, wie die Schweiz ungewollt zu einer wichtigen Ressource für den italienischen Terrorismus wurde. Die neutralen Gesetze, die liberale Waffengesetzgebung jener Zeit und die geografische Lage begünstigten diese Entwicklung. “Es ist ein dunkles Kapitel in den schweizerisch-italienischen Beziehungen, das lange Zeit zu wenig beachtet wurde”, schloss Rues seine Ausführungen.
Die Sendung ist in der SRF-Mediathek verfügbar und bietet wichtige Einblicke in eine Zeit, als die Schweiz unfreiwillig zur Drehscheibe des europäischen Terrorismus wurde.
Insubrica Historica: Episoden aus dem Zweiten Weltkrieg
Edizione in tedesco. Di Raphael Rues (Autore), Ekaterina Rues (Curatrice).